Vor einigen Wochen vereinbarte ein junger Mann mit mir einen Termin für eine Telefonberatung. Er rief mich zur vereinbarten Zeit an und ich fragte ihn, wie ich ihm helfen kann. Er erzählte, dass in seinem Leben alles schief gegangen sei. Seit 4 Jahren sitzt er nun im Rollstuhl. Er holte kurz Luft und dann schilderte er mir, was passiert ist.
John war früher ein sportlich aktiver Mann. Er ließ keinen Triathlon aus und er war ein leidenschaftlicher Bergsteiger. Eines Tages war John mit seinen Freunden unterwegs im Gebirge. Es war trüb und regnerisch, aber die vier jungen Männer wollten dennoch klettern gehen. Dabei passierte es – John stürzte beim Klettern ab. Erst als der Rettungsdienst eintraf, kam John wieder zu Bewusstsein. Im Krankenhaus erfuhr er die Diagnose – Querschnittslähmung.
Für John war es wie ein Todesurteil. Was sollte aus ihm werden? Wie würden seine Frau und sein Sohn reagieren? Wie geht es weiter? Für John brach zu diesem Zeitpunkt die ganze Welt zusammen. John wurde im Rollstuhl sitzend aus dem Krankenhaus entlassen. Zu Hause versuchten seine Familie und seine Freunde ihm das Leben so leicht wie möglich zu machen. John erzählte weiter, dass er sich am Anfang mit seiner Behinderung nicht arrangieren konnte. Er war verzweifelt und spürte starke Wut und Zorn in sich. Und, so schildert er mir unter Tränen, dass er diese Gefühle an seinen liebsten Menschen ausließ. John sah zwar, wie sehr seine Frau unter seinen Wutausbrüchen litt, aber in seinen Augen war der Schmerz seiner Frau nichts im Vergleich mit seiner Behinderung.
Heute versteht John, dass seine Frau nach zwei Jahren aufgegeben und sich von ihm getrennt hat. Seit dieser Zeit lebt John allein. John erzählt, dass er zurechtkommt. Aber er fühlt sich sehr einsam. Denn auch seine Freunde haben sich zurückgezogen. Er kann es ihnen nicht verdenken.
Gemeinsam überlegen wir, wie es in seinem Leben weitergehen kann. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können nach vorn schauen.
Einmal pro Woche ruft John mich an. Er hat eine feste Zeit für die Telefonberatung mit mir vereinbart. John sagt, dass es ihm gut tut, mit mir zu sprechen. Auch wenn ich seine Situation nicht ändern kann, hilft es ihm, sein Leben zu reflektieren und nach neuen Wegen zu suchen.
Neulich erzählte mir John, dass er am Sonntag unterwegs war und im Park eine junge Frau kennengelernt hat. Sie hat keine Behinderung, aber ihr Vater ist auch Rollifahrer. Dadurch kennt sie sich im Umgang mit Menschen mit Handicap aus. Auch beruflich öffnet sich für John möglicherweise eine neue Tür. In der letzten Zeit hat er sich viel mit Internetseiten und deren Programmierung beschäftigt. Auf der „Internetplattform für Menschen mit Behinderung oder chronischer Krankheit und deren Angehörige“ hat John sich bereits viele Ideen geholt.
Vielleicht kann er sich damit eine neue Zukunft aufbauen. Auf jeden Fall ist John dabei, wieder seinen Platz im Leben zu finden. Ich wünsche ihm dies von ganzem Herzen.
* Alle Angaben komplett anonym und nicht auf einen anderen Fall übertragbar.